
Die Geschichte des Fusion Funk-Bandprojekts Saâda Bonaire beinhaltet große Namen und liest sich wie eine Groteske, vor allem, wenn man die Musik dazu hört. Aber vielleicht der Reihe nach.
Bremen, Anfang der Achtziger Jahre. Der DJ und Musikjournalist Ralph von Richthoven ist nebenher zuständig für die Ausländerkulturarbeit in Bremen. Davon beeinflusst gründet er das Global Disco-Kollektiv Saâda Bonaire – Saâda ein Ort in Algerien, Bonaire eine Insel in der Karibik. Die Musik richtet sich ausdrücklich auch an in Deutschland lebende Ausländer, orientalische Instrumente, Melodien und Hooklines prägen den Sound. Doch der Name verrät noch mehr: auch Frauen sollen explizit angesprochen, feministische Themen transportiert werden. Ein Kollege spielt Bass, von Richthovens Freundin Stephania Lange und Claudia Hossfeld singen und kümmern sich um das Layout.
Das Kollektiv spielt also basslastige Musik zwischen Disco, Dub, Fusion, Funk und diesem Genre, das Weltmusik genannt wird. Das selbstbetitelte Album wird 1984 im legendären Studio N, das niemand geringerem gehört als Kraftwerk, eingespielt, unter Mithilfe von Leuten wie Dennis Bovell (der hatte zum Beispiel auch Fela Kuti produziert) und dem Jazz-Saxophonisten Charlie Mariano (der schon mit dem legendären Charles Mingus zusammen gespielt hatte).
Die große Plattenfirma EMI riecht den Braten und will Saâda Bonaire groß rausbringen. Heute hätte man die Band ein tüchtiges next big thing geheißen, und eigentlich sieht 1984 in Bremen auch alles nach rosiger Zukunft, vielen Plattenverkäufen und guten Rezensionen aus. Doch über Nacht kommt alles anders.
Der für Saâda Bonaire zuständige A&R-Manager hat das recht kleine Budget schon überzogen. Gleichzeitig ist er auch für Private Dancer, das Solo-Debüt von Tina Turner verantwortlich – auch hier hat er schon mehr ausgegeben, als das Budget vorsieht, und zwar fünfmal so viel. Irgendwann wird es der EMI zu bunt. Tina droppen ist nicht so leicht, also trennt man sich von der kleinen Global Disco-Band aus Bremen. Private Dancer geht durch die Decke, Saâda Bonaire verschwindet in der sogenannten Versenkung. Lediglich eine einzige Single wird veröffentlicht:
Knapp 30 Jahre später erscheint das selbstbetitelte Album dann doch noch! Und zwar wundersamerweise auf einem Label mit dem schönen Namen Fantasy Memory – einem Unterlabel von Captured Tracks (u.a. Blouse, DIIV, Beach Fossils etc). Fantasy Memory wird kuratiert von Andy Grier (Thieves Like Us). Wie der an die kleine Band aus Bremen geriet – ist mir unbekannt.
Saâda Bonaire erfahren nun späte Gerechtigkeit – immerhin wurde die bisher nicht erhältliche Musik jetzt öffentlich zugänglich gemacht. Und das abgefahrene an der ganzen Sache ist: das klingt überhaupt nicht nach den frühen Achtziger Jahren in Norddeutschland! Wenn man mir erzählte, das sei eine World Music Hipster-Band aus Brooklyn, ich würde es glauben. Ihrer Zeit voraus nennt man das, glaube ich, und ich frage mich jetzt schon länger, was passiert wäre, wären Saâda Bonaire wirklich erfolgreich gewesen in den Achtzigern. Ein müßiger Gedankengang, aber trotzdem spannend.
Streamt hier das komplette Album, und lest bei spex.de ein ausführliches Interview mit Ralph von Richthoven, dem Kopf des Kollektivs.
Saâda Bonaire / Facebook
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